Das Heilige Römische Reich im Spätmittelalter

Zu Beginn des Spätmittelalters verfiel im Zuge des Untergangs der Staufer und des darauffolgenden Interregnums bis in die Zeit Rudolfs von Habsburg die königliche Herrschaftsgewalt, die allerdings traditionell ohnehin nur schwach ausgeprägt gewesen war. Gleichzeitig nahm die Macht der Landesherren und Kurfürsten zu. Letztere verfügten seit dem späten 13. Jahrhundert über das ausschließliche Königswahlrecht, sodass die nachfolgenden Könige oft eine übereinstimmende Reichspolitik mit ihnen anstrebten. König Rudolf (1273–1291) gelang es noch einmal, das Königtum zu konsolidieren und das noch vorhandene Reichsgut infolge der sogenannten Revindikationspolitik zu sichern. Rudolfs Plan der Kaiserkrönung scheiterte jedoch ebenso wie sein Versuch, eine dynastische Nachfolge durchzusetzen, wozu die Reichsfürsten nicht bereit waren. Das Haus Habsburg gewann im Südosten des deutschen Reichsteils jedoch bedeutende Besitzungen hinzu.

Rudolfs Nachfolger Adolf von Nassau suchte eine Annäherung an das mächtige Königreich Frankreich, doch provozierte er mit seiner Politik in Thüringen den Widerstand der Reichsfürsten, die sich gegen ihn zusammenschlossen. 1298 fiel Adolf von Nassau im Kampf gegen den neuen König Albrecht von Habsburg. Albrecht musste ebenfalls mit dem Widerstand der Kurfürsten kämpfen, denen seine Pläne zur Vergrößerung der habsburgischen Hausmacht missfielen und die befürchteten, er plane eine Erbmonarchie zu errichten. Gegen die Kurfürsten konnte sich Albrecht letztlich zwar noch behaupten, doch unterwarf er sich Papst Bonifatius VIII. in einem Gehorsamseid und gab im Westen Reichsgebiete an Frankreich ab. Am 1. Mai 1308 fiel er einem Verwandtenmord zum Opfer.

Die verstärkte französische Expansion im westlichen Grenzgebiet des Imperiums seit dem 13. Jahrhundert hatte zur Folge, dass die Einflussmöglichkeiten des Königtums im ehemaligen Königreich Burgund immer weiter abnahm; eine ähnliche, aber weniger stark ausgeprägte Tendenz zeichnete sich in Reichsitalien (also im Wesentlichen in der Lombardei und der Toskana) ab. Erst mit dem Italienzug Heinrichs VII. (1310–1313) kam es zu einer zaghaften Wiederbelebung der kaiserlichen Italienpolitik. Der 1308 gewählte und 1309 gekrönte König Heinrich VII. erreichte in Deutschland eine weitgehende Einheit der großen Häuser und gewann 1310 für sein Haus das Königreich Böhmen. Das Haus Luxemburg stieg damit zur zweiten bedeutenden spätmittelalterlichen Dynastie neben den Habsburgern auf. 1310 brach Heinrich nach Italien auf. Er war nach Friedrich II. der erste römisch-deutsche König, der auch die Kaiserkrone erlangen konnte (Juni 1312), doch rief seine Politik den Widerstand der Guelfen in Italien, des Papstes in Avignon (siehe Avignonesisches Papsttum) und des französischen Königs hervor, die ein neues, machtbewusstes Kaisertum als Gefahr ansahen. Heinrich starb am 24. August 1313 in Italien, als er zu einem Feldzug gegen das Königreich Neapel aufbrechen wollte. Die Italienpolitik der folgenden spätmittelalterlichen Herrscher verlief in wesentlich engeren Grenzen als die ihrer Vorgänger.

1314 wurden mit dem Wittelsbacher Ludwig IV. und dem Habsburger Friedrich zwei Könige gewählt. 1325 wurde für kurze Zeit ein für das mittelalterliche Reich bislang völlig unbekanntes Doppelkönigtum geschaffen. Nach Friedrichs Tod betrieb Ludwig IV. als Alleinherrscher eine recht selbstbewusste Politik in Italien und vollzog in Rom eine „papstfreie“ Kaiserkrönung. Dadurch geriet er in Konflikt mit dem Papsttum. In dieser intensiven Auseinandersetzung spielte vor allem die Frage des päpstlichen Approbationsanspruches eine große Rolle. Es kam diesbezüglich auch zu polittheoretischen Debatten (siehe Wilhelm von Ockham und Marsilius von Padua) und schließlich zu einer verstärkten Emanzipation der Kurfürsten beziehungsweise des Königs vom Papsttum, was schließlich 1338 im Kurverein von Rhense seinen Ausdruck fand. Ludwig verfolgte seit den 1330er Jahren eine intensive Hausmachtpolitik, indem er zahlreiche Territorien erwarb. Damit missachtete er aber die konsensuale Entscheidungsfindung mit den Fürsten. Dies führte vor allem zu Spannungen mit dem Haus Luxemburg, die ihn 1346 mit der Wahl Karls von Mähren offen heraus forderten. Ludwig starb kurz darauf und Karl bestieg als Karl IV. den Thron.

Die spätmittelalterlichen Könige konzentrierten sich wesentlich stärker auf den deutschen Reichsteil, wobei sie sich gleichzeitig stärker als zuvor auf ihre jeweilige Hausmacht stützten. Dies resultierte aus dem zunehmenden Verlust des verbliebenen Reichsguts durch eine ausgiebige Verpfändungspolitik vor allem im 14. Jahrhundert. Karl IV. kann als ein Musterbeispiel eines Hausmachtpolitikers angeführt werden. Es gelang ihm, den luxemburgischen Hausmachtkomplex um wichtige Gebiete zu erweitern; er verzichtete dafür aber auf Reichsgüter, die in großem Maßstab verpfändet wurden und schließlich dem Reich verloren gingen, ebenso trat er faktisch Gebiete im Westen an Frankreich ab. Karl erzielte dafür einen weitgehenden Ausgleich mit dem Papsttum und ließ sich 1355 zum Kaiser krönen, verzichtete aber auf eine Wiederaufnahme der alten Italienpolitik im staufischen Stil. Er schuf aber vor allem mit der Goldenen Bulle von 1356 eines der wichtigsten „Reichsgrundgesetze“, in dem die Rechte der Kurfürsten endgültig festgelegt wurden und die maßgeblich die künftige Politik des Reiches mitbestimmten. Die Goldene Bulle blieb bis zur Auflösung des Reiches in Kraft. In Karls Regierungszeit fiel auch der Ausbruch des so genannten Schwarzen Todes – der Pest –, die zu einer schweren Krisenstimmung beitrug und in deren Verlauf es zu einem deutlichen Rückgang der Bevölkerung und zu Judenpogromen kam. Gleichzeitig stellte diese Zeit aber auch die Blütezeit der Hanse dar, die zu einer Großmacht im nordeuropäischen Raum wurde.

Mit dem Tod Karls IV. 1378 ging die Machtstellung der Luxemburger im Reich bald verloren, da der von ihm geschaffene Hausmachtskomplex rasch zerfiel. Sein Sohn Wenzel wurde wegen seiner offensichtlichen Unfähigkeit sogar von den vier rheinischen Kurfürsten am 20. August 1400 abgesetzt. Statt seiner wurde der Pfalzgraf bei Rhein, Ruprecht, zum neuen König gewählt. Seine Machtbasis und Ressourcen waren jedoch viel zu gering, um eine wirkungsvolle Regierungstätigkeit entfalten zu können, zumal die Luxemburger sich mit dem Verlust der Königswürde nicht abfanden. Nach Ruprechts Tod 1410 gelangte schließlich mit Sigismund, der bereits seit 1387 König von Ungarn war, der letzte Luxemburger auf den Thron. Sigismund hatte mit erheblichen Problemen zu kämpfen, zumal er im Reich über keine Hausmacht mehr verfügte, erlangte aber 1433 die Kaiserwürde. Der politische Aktionsradius Sigismunds reichte bis weit in den Balkanraum und nach Osteuropa hinein.

Hinzu traten in dieser Zeit kirchenpolitische Probleme wie das Abendländische Schisma, das erst unter Sigismund unter Rückgriff auf den Konziliarismus beseitigt werden konnte. Mit dem Tod Sigismunds 1437 erlosch das Haus Luxemburg in direkter Linie. Die Königswürde ging auf Sigismunds Schwiegersohn Albrecht II. und damit auf die Habsburger über, die sie fast durchgehend bis zum Ende des Reiches behaupten konnten. Friedrich III. hielt sich längere Zeit aus den direkten Reichsgeschäften weitgehend heraus und hatte politisch mit einigen Problemen zu kämpfen, wie dem Konflikt mit dem ungarischen König Matthias Corvinus. Friedrich sicherte aber letztlich die habsburgische Machtstellung im Reich, die habsburgischen Ansprüche auf größere Teil des zerfallenen Herrschaftskomplexes des Hauses Burgund und die Königsnachfolge für seinen Sohn Maximilian. Das Reich durchlief in dieser Zeit zudem einen Struktur- und Verfassungswandel, in einem Prozess „gestalteter Verdichtung“ (Peter Moraw) wurden die Beziehungen zwischen den Reichsgliedern und dem Königtum enger.

 

 

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